16. Februar 2017
Die im
Nato-Partnerland Litauen eingesetzten Bundeswehrsoldaten sind ins Visier einer
konzertierten Desinformationskampagne geraten, die offenbar von Rußland gesteuert wurde.
Nach
SPIEGEL-Informationen streuten Unbekannte vor einigen Tagen durch gezielte
E-Mails Gerüchte, daß deutsche Soldaten bei ihrem Einsatz in dem baltischen
Land eine Minderjährige vergewaltigt hätten.
Laut Nato-Diplomaten
handelt es sich um eine gezielte Fake-News-Attacke zur Diskreditierung der
Bundeswehr. Diese ist seit einigen Woche in Litauen stationiert, um das Land symbolisch
gegen mögliche russische Aggressionen abzusichern.
Das Vorgehen der
Täter - vor allem die Erwähnung einer angeblichen Vergewaltigung - erinnert
frappierend an den "Fall
Lisa" in Deutschland, bei dem russische Medien in der Hochzeit der
Flüchtlingskrise 2016 behaupteten, mehrere Flüchtlinge hätten eine junge Russin
in Berlin vergewaltigt.
Gut orchestrierter
Angriff
Die Offensive gegen
die Bundeswehr war gut orchestriert. So ging am 14. Februar eine ausführliche
E-Mail sowohl beim Parlamentspräsidenten von Litauen als auch bei mehreren
Medien ein. Darin wurde detailliert beschrieben, daß deutsche Soldaten am 9.
Februar in der Ortschaft Jonava eine junge Litauerin vergewaltigt hätten.
Auf den ersten Blick
wirkte das Schreiben wegen der vielen Details so glaubwürdig, daß einige
kleinere litauische Medien die angebliche Nachricht aufgriffen und
veröffentlichten. Auch der Ort der angeblichen Tat war offenbar bewußt
ausgewählt worden: Jonava liegt nur rund zehn Autominuten vom Standort Rukla
entfernt, dort sind die deutschen Soldaten für ihre Mission stationiert.
Die litauische
Regierung reagierte schnell. Sie überprüfte bei Polizei und Bundeswehr, daß es
einen solchen Vorfall nicht gegeben hat und stellte den Sachverhalt gegenüber
Journalisten klar. Mittlerweile wurde auch das Nato-Hauptquartier in Brüssel
informiert.
Bei der Nato wird die
Fake-News-Attacke sehr ernst genommen, auch wenn der von den Urhebern offenbar
gewünschte Effekt ausblieb. Das Vorgehen wird klar als Versuch gesehen, den
gerade begonnenen Einsatz in Litauen zu unterminieren. Ein Nato-Diplomat sprach
von einer erneuten Provokation der Russen, die gegen die temporäre
Stationierung von Truppen an der Ostgrenze des Militärbündnisses protestieren.
Bei der Allianz sieht man solche Attacken als erste Stufe der sogenannten
hybriden Kriegführung durch die Russen.
In dem aktuellen
Fall habe Moskau gezielt versucht, den Einsatz der Nato zu kriminalisieren und
die Unterstützung der Litauer für die Verlegung der Truppen zu untergraben,
vermutet man bei der Allianz. "Wir kommen nach Litauen für mehr
Sicherheit, die Urheber dieser Fake News aber versuchen, ein Bild
zu zeichnen, als ob ein Haufen Verbrecher in ihr Land einfällt", so ein
Offizier.
Auf weitere Attacken
vorbereitet sein
Die Stationierung
der Nato-Soldaten in der Region ist eine Reaktion auf Rußlands Vorgehen im
Ukrainekonflikt. Osteuropäische Staaten fürchten seit der Annexion der
ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim durch Rußland im Jahr 2014 um ihre
eigene Sicherheit. Aktuell werden vier sogenannte Battlegroups in den
baltischen Staaten und in Polen aufgestellt, die Initiative wird "Enhanced
Forward Presence" genannt. Aus Sicht der Nato verstößt das Vorhaben nicht
gegen die Nato-Rußland-Akte, da die Verbände nur temporär und rotierend im
Einsatz sind. Die Bundeswehr beteiligt sich in Litauen mit rund 130 Soldaten.
Auf Nachfrage des
SPIEGEL bestätigte das Bundesverteidigungsministerium den Vorgang. Ein Sprecher
wollte aber keine Details über die möglichen Hintergründe oder die Urheber der
virtuellen Attacke nennen.
In einer internen
Bewertung der Truppe wird aber bereits angemahnt, daß man sich auf weitere solche
Attacken durchaus vorbereiten muß. Deswegen sollen die Meldewege erneut
überprüft und die eingesetzten Soldaten sensibilisiert werden.
Bewährtes Muster:
Gerüchte und Anschuldigungen
Hätten Litauen und
die Bundeswehr nicht so schnell reagiert, wäre ein Szenario wie im "Fall
Lisa" möglich gewesen. Im Januar 2016 hatte die angebliche Vergewaltigung
der jungen Russin durch Flüchtlinge in Berlin weltweit Schlagzeilen gemacht.
Die staatlich kontrollierten Auslandssender Rußlands bis hin zum Außenminister
befeuerten die Gerüchte tagelang und warfen der Bundesregierung ziemlich offen
vor, den Fall aus politischen Gründen nicht richtig zu verfolgen. Am Ende
stellte sich heraus, daß die junge Russin nicht vergewaltigt wurde, sondern
sich die Geschichte aus Angst vor ihren Eltern ausgedacht hatte, da sie nach
einer Feier die ganze Nacht nicht nach Hause gekommen war.
Der Fall steht bis
heute als Beispiel für eine gezielte Desinformationskampagne Rußlands. Die
Bundesregierung hat wegen der Involvierung von staatlichen Stellen auch
offiziell bei den Russen protestiert.
Hinweis der
Redaktion: In einer früheren Version des Artikels lautete die Überschrift:
"Rußland attackiert Bundeswehr mit Fake-News-Kampagne". Das haben wir
geändert, weil es sich um einen Verdacht der Nato handelt.
Matthias Gebauer