https://www.fr.de/panorama/sputnik-v-corona-impfstoff-wirksamkeit-zweifel-wissenschaftler-vakzin-ema-deutschland-putin-russland-zr-90459400.html
16. April 2021
Die Europäische Arzneimittelagentur prüft in einem
rollenden Zulassungsverfahren den russischen Corona-Impfstoff „Sputnik V“.
Wissenschaftler haben verdächtige Auffälligkeiten entdeckt.
Bislang ist der russische Impfstoff „Sputnik V“ in der EU
noch nicht durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) zugelassen. Die EMA
hat für den Corona-Impfstoff „Sputnik V“ bereits Anfang März ein rollendes Zulassungsverfahren gestartet*. Inzwischen gibt es von Wissenschaftlern aufgrund Unstimmigkeiten bei den
Daten zu „Sputnik V“ immer mehr Zweifel an dem russischen Corona-Impfstoff,
wie echo24.de* berichtet.
Aktuell sind Experten der EMA im Zuge des „Rolling Review“-Zulassungsverfahrens
in Rußland unterwegs, denn sie haben viele Fragen zu den bisher vorgelegten
russischen Daten. Sie besuchen Kliniken, in denen geimpft wird,
Produktionsstätten und Lagerräume, wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet.
Eine Entscheidung erwartet der Gesundheitsexperte Jérôme Lepeintre bei der
EU-Vertretung in Moskau frühestens im Juni oder Juli. Wenn „Sputnik V“
zugelassen wird, soll der Impfstoff auch in Deutschland eingesetzt werden.
Wissenschaftler zweifeln Daten zu „Sputnik V“-Impfstoff
an: Transparenz fehlt
Rußlands Impf-Funktionäre stehen schon länger in der Kritik,
sie würden nicht transparent mit den Forschungszahlen umgehen. Unabhängige
Experten gehen zudem davon aus, daß Rußland nur einen kleinen Bruchteil seiner
bisher international zugesagten Dosen überhaupt liefern kann. Gut eine
Million „Sputnik“-Dosen hat allein Ungarn erhalten nach offiziellen
Angaben. Das Land hat als einziges EU-Mitglied das Vakzin national zugelassen,
ohne die EMA-Entscheidung abzuwarten.
Wer im russischen Staatsfernsehen Reportagen von groß
inszenierten „Sputnik V“-Transporten etwa nach Lateinamerika sieht,
bekommt rasch den Eindruck, daß der Impfstoff die Welt erobert. Westliche
Präparate spielen in Rußland keine Rolle. Dabei klagen sogar viele Regionen in
Rußland über Lieferengpässe, wie selbst Kremlchef Wladimir Putin einräumen mußte.
Nach Putins Angaben haben erst 4,3 Millionen Menschen eine Impfung erhalten.
Das sind knapp drei Prozent der 146 Millionen Einwohner.
Zweifel an „Sputnik V“: Wissenschaftler entdecken
Auffälligkeiten in Impfstoff-Daten
In einem von der britischen medizinischen
Fachzeitschrift The BMJ veröffentlichten Brief stellen
die Wissenschaftler Florian Naudet, Enrico Bucci und weitere Forscher
Auffälligkeiten bezüglich der Wirksamkeit von „Sputnik V“ fest, wie ntv berichtet.
Bei den kritischen Wissenschaftlern handelt es sich nicht um Impfstoffforscher,
sondern um Mediziner, die sich kritisch mit den vorgelegten Datensätzen zu den
verschiedenen Testphasen auseinandergesetzt haben. Im Zentrum stehen
statistische Auffälligkeiten.
Laut des veröffentlichen Briefes gibt es zahlreiche
Auffälligkeiten in den russischen Daten der Impfstoff-Studie von „Sputnik V“.
Die vollständigen Datensätze zu den verschiedenen Testphasen des am staatlichen
Gamaleja-Forschungszentrum für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau entwickelten
Impfstoffs sind bisher noch nicht veröffentlicht worden – nur deren Auswertung.
Wissenschaftler entdecken Auffälligkeiten: Impfstoffdaten
zu „Sputnik V“ manipuliert?
Erste Zweifel hatten die Mediziner bereits vergangenen
September geäußert. Damals wiesen neun Probanden nach 21 und 28 Tagen jeweils
den exakt selben Antikörper-Wert auf. Das Gleiche geschah angeblich bei sieben
von neun Probanden einer anderen Wirkstoff-Version. In weiteren voneinander
getrennten Beobachtungen wiederholen sich die Werte.
Mit Blick auf die Probanden gibt es noch weitere
Auffälligkeiten: Das Muster der im September vorgelegten Daten bei
unterschiedlichen Probanden, Werkstoffvarianten und Zeitpunkten, paßt laut den
Wissenschaftlern nicht zur natürlichen Zellvermehrung. Auch die Werte zur
Antikörperbildung bei unterschiedlichen Probanden mit unterschiedlichen
Wirkstoff-Varianten wiesen unnatürliche Muster auf.
Weitere Auffälligkeiten betreffen die Wirksamkeit des
russischen Impfstoffs. Der Hersteller hatte im November und Dezember drei
Pressemitteilungen zu Zwischenauswertungen der dritten Testphase veröffentlicht
– in allen drei Pressemitteilungen liegt die Wirksamkeit des Vakzins „Sputnik
V“ bei 91 und 92 Prozent. Der Anteil an Erkrankten in den Gruppen der Geimpften
und der Kontrollgruppe fällt dabei immer gleich aus – was laut der
Wissenschaftlicher bei einer fünfstelligen Zahl an Studienteilnehmern sehr
unwahrscheinlich ist.
Wie ntv berichtet, kommen die
Wissenschaftler zu dem Ergebnis: „Die ungewöhnliche und unwahrscheinliche hohe
Homogenität der Impfstoffwirksamkeit über Altersschichten und verschiedene
Zwischenanalysen hinweg gibt Anlaß zu Bedenken hinsichtlich der berichteten
Daten.“ Am 12. März haben Naudet und seine Kollegen ihre Bedenken der
Europäischen Arzneimittel-Agentur mitgeteilt.
„Sputnik V“ in Deutschland: Bayern und
Mecklenburg-Vorpommern sichern sich erste Impfdosen
Wann und ob der russische Corona-Impfstoff in Deutschland
verimpft wird, ist weiterhin unklar. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU)
betonte, daß es zunächst eine Zulassung durch die Europäische
Arzneimittelagentur EMA geben müsse. Dennoch starteten einige Bundesländer
schon vor einer möglichen EU-Zulassung Alleingänge.
Bayern unterzeichnete am Mittwoch einen Vorvertrag über
2,5 Millionen „Sputnik“-Dosen, Mecklenburg-Vorpommern zog am Donnerstag
mit einer Option auf eine Million Dosen nach. Der Vorstoß der Länder stieß
jedoch auch auf Kritik. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) etwa
sieht die Bundesregierung für eine Beschaffung in der Pflicht, wie ein
Regierungssprecher erklärte.
Baden-Württemberg* möchte sich nicht wie Bayern und
Mecklenburg-Vorpommern selbst Dosen des russischen
Impfstoffes „Sputnik V“ sichern. Es gebe ein bewährtes
Verfahren, teilte Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) laut eines Sprechers
am Donnerstag in Stuttgart mit. Der Bund und die EU kümmerten sich um
Beschaffung und Zulassung der Impfstoffe, die Länder seien zuständig für die
Verimpfung. „Ich sehe keinen Anlaß, daran etwas zu ändern“, so Lucha. Der
Minister bezeichnete es mit Blick auf die Impfstoffbeschaffung aber als richtig,
„daß der Bund und Minister Spahn jetzt bilaterale Gespräche mit Rußland
angekündigt haben.“
Corona-Impfstoff aus Rußland: Slowakei und Ukraine
bemängelt und kritisieren „Sputnik V“
Die EU-Staaten Ungarn und Slowakei haben „Sputnik
V“ bereits auf eigene Faust angeschafft, Ungarn erteilte eine
Notfallzulassung. In der Slowakei veröffentlichte die staatliche
Arzneimittelkontrolle SUKL einen kritischen Bericht über den russischen
Impfstoff, der die Qualität bemängelte. Bisher wird der Impfstoff in dem Land
noch nicht verwendet. Nach Angaben aus Rußland war die Slowakei gebeten worden,
den Impfstoff wegen „mehrfacher Vertragsverletzungen“ zurückzuschicken, wie der
staatliche Direktinvestmentfonds RDIF bei Twitter schrieb. „Impfstoffe sollten
Leben retten und nicht für geopolitische und interne politische Kämpfen
eingesetzt werden.“
Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko),
Thomas Mertens, sagte im ZDF-Morgenmagazin, die publizierten
Daten zu „Sputnik V“ sehen „sehr gut aus“, er wisse aber nicht, was
der EMA an zusätzlichen Daten vorliege. „Wenn der Impfstoff geprüft und
zugelassen wird, hätte ich persönlich dagegen nichts einzuwenden.“ Zuvor bezeichnete Mertens „Sputnik V“ bereits als „clever gebaut“.
Auch der ukrainische Außenminister Dmitri Kuleba warnte
in der Bild vor dem russischen Impfstoff. „Leider geht es
bei ,Sputnik V‘ nicht um humanitäre Ziele. Rußland benutzt es
als ein Werkzeug, um seinen politischen Einfluß zu vergrößern.“ Die Ukraine
sieht sich nach der russischen Einverleibung ihrer Halbinsel Krim am Schwarzen
Meer in einem Krieg mit dem Nachbarland.
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