2. Dezember 2018
Schiessübungen und
Messerkampf: Sanktionierte Kreml-Kämpfer trainieren Russenfans in Bern, Zürich
und Lugano. Ein geheimes NDB-Dokument zeigt: Moskaus Ziel dabei ist der Aufbau
einer unerkannten Kommando-Truppe in der Schweiz.
Es ist der Alptraum
jeder westlichen Regierung: russische Kämpfer im eigenen Land. Saboteure,
Provokateure, Spione. Was tönt wie Science-Fiction, ist in der Schweiz
Realität.
Seit Jahren baut der
russische Staat hierzulande gezielt feindliche Schläferzellen auf. Dazu nutzt
Moskau Sportschulen in Zürich, Bern und Lugano, wo die russische Kampfkunst
Systema trainiert wird. Für so genannte «Seminare» fliegen ehemalige
Elitekämpfer des russischen Geheimdienstes in die Schweiz. In Turnhallen bilden
sie Interessierte im Strassenkampf aus und geben Messer- und Schiesstrainings.
Wie akut die Gefahr
aus dem Osten ist, zeigen Auszüge aus einem geheimen Dokument, das der
Nachrichtendienst des Bundes (NDB) erstellt hat. Demnach dient das
Systema-Netzwerk unter anderem zum «Multiplizieren der Streitmacht ausserhalb
der regulären Abrüstungsvereinbarungen durch eine unerkannte Kommando-Gruppe».
Ziel: Das «Herbeiführen von Unruhen und Verunsicherung im Zielgebiet», sowie
das Rekrutieren «künftiger Eliten». Der NDB schreibt von einer finanziellen und
ideologischen Beeinflussung durch russische Behörden. Wladimir Putins fünfte
Kolonne in der Schweiz.
Zentrales Glied ist
ein Kampf-Club aus Zürich
In den letzten
Jahren sind Systema-Zellen im gesamten europäischen Raum entstanden. In der
Schweiz konzentrieren sich die Aktivitäten auf Zürich, Bern und Lugano TI.
Zentrales Glied ist
ein Kampf-Club aus Zürich. Dessen Mitglieder treffen sich regelmässig in einem
Trainingslokal in Regensdorf. Videoaufnahmen zeigen den Unterricht:
militärischer Drill, würgen, töten lernen.
Das Logo des
Vereins: ein Wolfskopf, das Zeichen der Wolf-Holding aus Moskau. Die Holding
ist eine Mischung aus Sicherheitskonzern und Kampfsportverein, der immer wieder
hochrangige Systema-Instruktoren nach Westeuropa entsendet.
Ryauzov war
langjähriger Elitesoldat des russichen Geheimdienstes. Die USA haben ihn mit
Sanktionen belegt.
Diese reisen auch in
die Schweiz. Einer von ihnen ist Denis Ryauzov, der «Combat Trainer Leader» der
Wolf-Holding. Er gibt regelmässig Kampfkurse in Zürich und Lugano, meist in
Uniform, auf dem Ärmel eine Russlandflagge aufgenäht. Die Schule in Regensdorf
führt ihn auf ihrer Webseite als «Chefinstruktor» auf.
Ryauzov war
Elitekämpfer bei den Speznas, eine Spezialeinheit des russischen militärischen
Nachrichtendienstes (GRU). Mehr noch: Die USA haben Ryauzov aufgrund von
separatistischen Aktivitäten in der Ostukraine mit Sanktionen belegt.
Verbindungen zum
russischen Geheimdienst
Auch an
Systema-Schulen in Bern trainierten in den letzten Jahren teils hochdekorierte
Ex-Kämpfer von russischen Sondereinsatzkommandos, darunter Vladimir Vasiliev
und Michail Ryabko. Letzterer soll noch heute enger Berater des russischen
Justizministers sein – und damit direkt Machthaber Putin unterstellt. In
früheren Jahren bildete er Kämpfer für die Speznas-Truppen aus.
Unklar ist, wer in
der Schweizer Systema-Szene die Fäden zieht. Es gibt allerdings Hinweise. Im
NDB-Dokument taucht der Name D.Z. auf. Er leitet den Kampfsportverein in
Regensdorf und gilt als zentrale Figur. Dem SonntagsBlick liegen Fotos vor, die
seine Kontakte zu russischen Top-Militärs belegen. So traf er sich etwa im
deutschen Singen mit Gennady Nikulov, dem obersten Chef der russischen Wolf
Holding. Auch Nikulov wurde von den USA sanktioniert. Auch er wegen
separatistischen Aktivitäten in der Ostukraine. Zur Zeit ist er Vizepräsident
der russischen Separatisten in der Stadt Sewastopol auf der Halbinsel Krim.
Sämtliche
Systema-Schulen in der Schweiz weisen Verbindungen zum russischen Geheimdienst
weit von sich. Einige Befragte tun dies mit hämischen Kommentaren: «Ich
genehmige mir jetzt ein Glässchen Vodka mit Putin und hecke Terrorattacken
aus.» Andere drohen mit Anwälten, falls ihr Name in der Zeitung erscheint. Der
Systema-Verein von Regensdorf nimmt kurz nach der Anfrage des SonntagsBlicks
seine Webseite vom Netz.
In Moskau lernen sie
den Umgang mit Sprengstoff
Den deutschen
Journalisten und Russland-Experten Boris Reitschuster erstaunen die Reaktionen
nicht. Er hat die Gefahr des Systema-Netzwerks in Europa als Erster öffentlich
thematisiert. In seinem 2016 erschienenen Buch «Putins verdeckter Krieg: Wie Moskau
den Westen destabilisiert» beschreibt er, wie in diesen Clubs Russlandfreunde
angeworben werden, etwa Polizisten oder Sicherheitsleute.
In der Masse würden
in den Schulen normale Sportler trainieren. Einige von ihnen werden am Ende
aber rekrutiert. Sie reisen nach Moskau und lernen dort den Umgang mit
Sprengstoff und Waffen. Allein in Deutschland sollen gegen 300 Leute diese
Ausbildung durchlaufen haben. Reitschuster sagt: «Diese Kampftruppen im Westen
sind eine tragende Säule in Putins verdecktem Krieg.»
Geheimdienstexperte
Dmitrij Chmelnizki pflichtet ihm bei. «Es gibt unterdessen mehrere hundert
Systema-Filialen überall in der Welt», sagt er. Und mahnt: «Die Schulen müssen
von den Behörden unbedingt besser kontrolliert werden.» Die Taktik, feindliche
Truppen im Westen aufzubauen, sei altbewährt und gehe auf Sowjetzeiten zurück.
«Diese Gruppen sollen getarnt bleiben, bis sie ein Befehl zu aktiven Massnahmen
bekommen.» Heisst konkret: Unruhen anzetteln, Sabotageakte durchführen.
Dass die Aktivitäten
der Russen längst über Planspiele hinausgehen, zeigen die Informationen des
NDB. Im Geheimdokument erwähnt er Wehrsportmanöver im Schweizer Hochgebirge.
Dazu äussern will sich der Nachrichtendienst nicht. Sprecherin Caroline Bohren
sagt einzig, dass man die Kampfschulen auf dem Radar habe. Allfällige
Spionagetätigkeiten würden mit eigenen Mitteln bekämpft.
Fabian Eberhard