https://www.zeit.de/news/2022-05/25/nato-staaten-durch-absprachen-krieg-mit-russland-verhindern
25. Mai 2022
Unter den Nato-Staaten gibt es nach Informationen der
Deutschen Presse-Agentur informelle Absprachen zum Verzicht auf die Lieferung
bestimmter Waffensysteme an die Ukraine.
Wie der dpa am Mittwoch in Bündniskreisen in Brüssel
bestätigt wurde, soll dadurch das Risiko einer direkten militärischen Konfrontation
zwischen Nato-Staaten und Rußland möglichst gering gehalten werden. Befürchtet
wird so zum Beispiel, daß Rußland die Lieferung westlicher Kampfpanzer und
Kampfflugzeuge offiziell als Kriegseintritt werten könnte und dann militärische
Vergeltungsmaßnahmen ergreift. Waffensysteme dieser Art wurden bislang nicht in
die Ukraine geliefert.
Nach Angaben aus der SPD-Bundestagsfraktion ist diese
informelle Verabredung in Berlin bekannt. «Darüber wurde der
Verteidigungsausschuß Mitte Mai vollumfänglich informiert», sagte der
verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Wolfgang Hellmich, der
Deutschen Presse-Agentur.
In Deutschland hatten zuletzt Aussagen der
Parlamentarischen Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, Siemtje Möller
(SPD), für Diskussionen gesorgt. Sie sagte am Sonntag in der ZDF-Sendung
«Berlin direkt» zu Waffenlieferungen, es sei innerhalb der Nato festgehalten,
«daß keine Schützen- oder Kampfpanzer westlichen Modells geliefert werden».
Keine offizielle Äußerung der Nato
Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) kritisierte
daraufhin am Mittwoch, daß die Bundesregierung eine solche Absprache bei den
Beratungen im Bundestag zur Lieferung schwerer Waffen nicht erwähnt habe.
«Entweder liegt das an einer skandalösen Unfähigkeit, die gepaart ist mit
Schlamperei und Unwissenheit. Oder aber, und das wäre ein veritabler Skandal,
der Deutsche Bundestag und die Öffentlichkeit werden mit immer neuen
Pseudobegründungen hinter die Fichte geführt, um eine systematische
Verzögerungsstrategie zu tarnen», sagte er dem Portal «Focus Online».
Ein Nato-Sprecher äußerte sich am Mittwoch nur allgemein
zum Thema. Er verwies darauf, daß alle Lieferentscheidungen am Ende Sache der
einzelnen Mitgliedstaaten seien. Diese halten sich nach Angaben von Diplomaten
bislang an informelle Absprachen - auch weil sie sonst am Ende fürchten müßten,
im Fall eines russischen Angriffs nicht die volle Unterstützung der
Bündnispartner zu bekommen. Aus diesem Grund soll zum Beispiel Polen vor mehr
als zwei Monaten auf die Lieferung von MiG-29-Kampfjets sowjetischer Bauart an
die Ukraine verzichtet haben.
Der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Europa, Tod
D. Wolters, hatte im März zu dem Thema erklärt, die Weitergabe von MiG-29 könne
nach Einschätzung von Geheimdiensten von Moskau mißverstanden werden und in
einer Eskalation Rußlands mit der Nato resultieren. Dies sei ein Hochrisiko-Szenario,
sagte der Vier-Sterne-General.
Nato nimmt Deutschland in Schutz
Indirekt bestätigt wurden Absprachen in der Vergangenheit
unter anderem von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Dieser sagte im März
nach einem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten zum
Thema Waffenlieferungen: «Es gibt eine Grenze, die darin besteht, nicht
Kriegspartei zu werden.» Diese Grenze werde von allen Alliierten geteilt und
deswegen liefere bislang niemand Waffen wie Flugzeuge.
Der CDU-Politiker Wadephul warf der
Bundesregierung am Mittwoch dennoch vor, gegen den Bundestagsbeschluß zur
Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine zu verstoßen. «Das findet nicht
statt. Damit verstößt die Bundesregierung gegen einen bindenden Beschluß des
Parlaments», kritisierte er. «Wenn es so weitergeht, gibt es dazu später einen
Untersuchungsausschuß!»
Die Bundesregierung hat bisher die Lieferung
zweier Arten von schweren Waffen in die Ukraine öffentlich zugesagt:
Gepard-Luftabwehrpanzer und Panzerhaubitzen 2000 (schwere Artilleriegeschütze).
Die Ukraine fordert von Deutschland aber auch die Lieferung von Kampf- und
Schützenpanzern für die Verteidigung gegen die russischen Angreifer.
Schützenpanzer sind kleiner und leichter als Kampfpanzer. Die Bundeswehr hat
Kampfpanzer vom Typ Leopard und Schützenpanzer vom Typ Marder. Der
Rüstungskonzern Rheinmetall hat angeboten, gebrauchte Exemplare beider Modelle
direkt in die Ukraine zu liefern. Über eine formelle Entscheidung der
Bundesregierung darüber ist nichts bekannt.
Die Nato nimmt die Bundesregierung hingegen in
Schutz. «Deutschland hat der Ukraine Tausende von Waffen zur Verfügung
gestellt, darunter Flugabwehrraketen und Panzerabwehrraketen», teilte ein
Sprecher am Mittwoch mit. Zudem begrüße man auch die deutsche Entscheidung, der
Ukraine Artilleriewaffen und Flugabwehrpanzer zur Verfügung zu stellen.
In Bündniskreisen wurde vor diesem Hintergrund
auch betont, daß die Risikoanalysen zu Waffenlieferungen ständig aktualisiert
werden. Demnach ist es nicht ausgeschlossen, daß irgendwann einmal doch auch
westliche Kampfpanzer und Kampfjets in die Ukraine geliefert werden.
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