Tut kaum etwas für
russische Oppositionelle in seinem Land: der ukrainische Präsident Petro
Poroschenko.
2. Februar 2016
KIEW taz |
„Hört auf meinen Rat“, wendet sich der russische Asylbewerber Pjotr
Ljubtschenkow aus dem südukrainischen Odessa an die russische Opposition. „Wenn
ihr aus Rußland rauswollt, kommt auf keinen Fall in die Ukraine. Hier seid ihr
nicht sicher.“
Ljubtschenkow wird
in Rußland unter anderem vorgeworfen, eine Demonstration für mehr Autonomie im
Kuban-Gebiet im russischen Nordkaukasus mitorganisiert zu haben. Seit seiner
Flucht aus Rußland im Juni 2014 lebt er in der Ukraine. Seine Mitstreiterin,
Darja Poljudowa, die in Rußland geblieben war, hatte weniger Glück. Sie wurde
im Dezember zu zwei Jahren Lager verurteilt.
Nun fürchtet der
Psychologe, der in Rußland die Maidan-Bewegung unterstützt hatte, eine
Auslieferung nach Rußland. Die Migrationsbehörden von Odessa hatten seinen
Asylantrag abgelehnt. In Rußland, einem demokratischen Rechtsstaat, hätte der
Kläger keine Gefahren für Leib oder Leben zu befürchten, hatten Mitarbeiterinnen
der Migrationsbehörde im Februar 2015 vor Gericht ihren ablehnenden Bescheid
begründet.
Das Gericht sah dies
anders und forderte die Behörde auf, den Asylantrag erneut zu prüfen. „Und
diese Prüfung zieht sich nun schon fast ein Jahr hin“, berichtet Ljubtschenkow
der taz. Vor einigen Wochen habe Rußland ein Auslieferungsgesuch
gestellt. Nun könne man ihn jederzeit in Auslieferungshaft nehmen.
Nur neun positive
Bescheide
Ljubtschenkow ist
nicht der einzige russische Oppositionelle, der in die Ukraine geflohen ist.
2014 hatten 130 russische Staatsbürger Asyl in der Ukraine beantragt, 2015
wurden 86 Asylanträge gestellt. Doch nur insgesamt neun Anträge waren positiv
beschieden worden.
Wie dringend Asyl
für viele der 143.000 in der Ukraine lebenden russischen Staatsbürger ist,
zeigt auch der Fall eines Angestellten der Migrationsbehörde, der einem
Kollegen 5.000 Dollar an Bestechungsgeldern bezahlt hat, damit dieser einen
russischen Staatsbürger als Flüchtling anerkennt. Nun drohen dem Beamten acht
Jahre Haft wegen Bestechung.
Auch Olga Kurnosowa
aus St. Petersburg, die auf Aktionen der russischen Opposition immer wieder „In
Kiew sind unsere Brüder, in Moskau ist die Junta“ skandiert hatte, weiß nicht,
wie es mit ihrem Aufenthaltsstatus weitergehen wird. Nach mehrfachen Besuchen
von der Polizei und Hausdurchsuchungen war die Mitbegründerin des
„Solidaritätskomitees Maidan“ 2015 nach Kiew geflohen. So wie Ljubtschenko
müsse sie sich von ukrainischen Migrationsbeamten sagen lassen, daß Rußland ein
demokratischer Rechtsstaat sei, so Kurnosowa zur taz.
„Das
russisch-ukrainische Auslieferungsabkommen ist nach wie vor gültig. Bei einer
Auslieferung müssen die Behörden nicht einmal Interpol einschalten“, sagt Pjotr
Ljubtschenkow.
Genfer
Flüchtlingskonvention verletzt
Auch die
Migrationsbeauftragte der russischen Menschenrechtsorganisation „Memorial“,
Swetlana Gannuschkina, ist besorgt. Die Ukraine habe auch nach dem Sturz von
Wiktor Janukowitsch, zwischen März und Dezember 2014, zwanzig Personen an Rußland
ausgeliefert. Eine Auslieferung nach Rußland, so Gannuschkina, wo es keine
unabhängigen Gerichte gebe und Folter praktiziert werde, sei eine Verletzung
der Genfer Flüchtlingskonvention.
Der ukrainische
Präsident Petro Poroschenko, der sich am Montag dieser Woche zu Gesprächen mit
Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin traf, hatte mehrfach eine
Liberalisierung der Asylgesetzgebung für russische Oppositionelle versprochen.
Doch derzeit ist nichts dergleichen in Sicht.
Bernhard Clasen
Journalist,
Übersetzer und Dolmetscher für russisch